Das verbindende Element aller künstlerischen Veranstaltungen ist das Thema einer jeder Ausgabe, in 2022 war es „Sprache“. (Impressionen von PPS)
Das Internationale Festival der darstellenden Künste in Targoviste, BABEL, entstand aus dem Wunsch heraus, den Glanz wiederzuerlangen, den die Stadt fast 300 Jahre lang hatte, während sie Regierungssitz des rumänischen Landes und ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Wahrzeichen war.
Der biblische Mythos vom Turm zu Babel bedeutet die menschliche Sehnsucht, die Ganzheit des Universums zu erkennen, die Vollkommenheit zu erreichen, von der der Mensch selbst ein Teil ist. Gleichzeitig ist Babel der Ground Zero der Vielfalt. Das künstlerische und theatralische Babel ist eine bestimmte Art, den Himmel zu berühren, nicht durch Stein- oder Metallkonstruktionen, die die heutige Umgebung ausmachen, sondern durch etwas Solideres und das ist Seelengemeinschaft. Der künstlerische Ausdruck ist die Sprache der Seele.
Nach zwei verlorenen Pandemie-Jahren erfüllte es mit Freude und machte neugierig darauf, wieder zahlreich Leute und Freunde zu treffen, neue Freunde zu finden und auch endlich wieder eine frische Brise von Musik, Film, Buchpräsentation, Ausstellungen und Theaterveranstaltungen einzuatmen.
Künstler aus verschiedenen Teilen Rumäniens, Europas, Asien und Indien hatten sich wieder versammelt, um farbiges, kulturelles und unterhaltsames Licht auf das Theater Tony Bulandra und die Stadt Targoviste zu werfen.
„Menschen zu treffen, gemeinsam Kunst zu genießen, ist das, was wir vermisst haben, was wir brauchen und was wir in dieser Zeit des Krieges und der Pandemie bei Babel X zelebrieren“, so der Präsident des KulturForum Europa Dieter Topp zur Eröffnung.
Die griechische Schauspielerin Despina Sarafeidou als „Kassandra“ fasste es während ihres fulminanten Auftritts so zusammen: den Mythos der Vergangenheit neu erfinden, um eine urkomische Neuinterpretation der antiken griechischen Tragödie in eine „Stand-up-Tragödie“ zu verwandeln, die Realität der Gegenwart mit einem zwinkernden Auge zu betrachten, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen, wo Mythos und Gegenwart verschmelzen und in einer sehr seltsamen und auch wunderbaren Art und Weise lebendig bleiben, in die Zukunft zu blicken, wie Euripides und Bugs Bunny, Abba, Manchester United und Scarlett O’Hara, Tragödie und Humor zu sein. Vielleicht könnte das die Lösung sein: „Die Welt ist selten sonnig, aber wir sind Bugs Bunny!“
Zum spannenden Auftakt Romeo Castellucci
„Das Dritte Reich“ war Bild einer aufgezwungenen, obligatorischen Kommunikation, deren Gewalt der Anspruch auf Gleichberechtigung entsprach. Hier entleerte eine Sprachmaschine ganze Sphären der Realität, da die Substantive alle gleich sind, maschinell massenproduziert, wie Plattenbauten in einem Wissen, das keinen Raum zum Entkommen lässt. Alle Pausen waren abgeschafft, besetzt. Die Pause oder das Fehlen von Worten wurde zu einem Schlachtfeld für die Worte und ihre militärische Aggression. Die Substantive aus dem Wörterbuch, die auf die Leinwand projiziert wurden, waren Flaggen, die in einem eroberten Land gepflanzt wurden. Der Projektion ging eine symbolische Aktion voraus, bei der ein Performer eine Zeremonie zum Leben erweckte, in der die Sprache „entzündet“ wurde, dazu ein apodiktischer Sound von Scott Gibbons.
Evita Tango
Ein Abend basierend auf dem Leben der legendären Evita, Frau des Argentinischen Diktators Peron verkündete das Babel Festival Programm. Doch es war mehr als Schauspiel, Bewegung, Musik und Licht.
Regisseur MC Ranin hatte in Zusammenarbeit mit Choreograf Hugo Wolff ein Dokudrama auf die Bühne des Tony Bulandra Theaters gebracht: Originalaufnahmen aus den 30er Jahren bis zu ihrem Tod gaben Ton als Zeitzeugen. Ein junger und exakter Countertenor (Alexander Costea) eröffnete, unterbrach und beendete die Show mit barocken Liedern von Todesahnung. Passgenau interpretierten die talentierte Schauspielerin Mara Opris und ihr Kollege Liviu Cheloiu zum größten Teil in gekonnten tänzerischen Tangoposen Aufstieg und Fall des Diktators und seiner Geliebten.
Durch den Transfer in das Parallelgeschehens von G. Orwells’s Animal Farm erhielt diese Show eine notwendige Allgemeingültigkeit in Sachen Diktatur … Und plötzlich waren sie alle auf der Bühne, die Adlaten des Diktators, die Schweine, die Geheimpolizei, die Hunde, … und mehr und mehr wurde der Zuschauer Zeuge, wie durch Manipulation und Falschinformation sich ein System an die Macht putschte. Jetzt war das Leben der Evita Peron der Aufhänger für ein Menschen verachtendes Statement bis zum heutigen Tag.
Ranin hatte einmal mehr das Ganze in ein von ihm verehrten Kabuki gleichen Bühnenbild mit geringsten Accessoires und fließend farbigem Licht eingebettet . Wolff hat sich diesmal selbst übertroffen und die Darsteller auf eine Ebene gekonnter Tänzer hochgearbeitet. Beeindruckende Hommage an eine historische Figur, gekonnt in einen allgemein gültigen Kontext eingebettet.
Neues Theatererlebnis bei BABEL
Bühnenregisseur Dumitru Acris präsentierte zwei seiner neuesten Schöpfungen, „Schuld und Sühne“ nach Dostojewski, mit einer erfreulich gut ausgebildeten und starken Besetzung des Tony Bulandra Theaters, Targoviste. „The House“ nach Gorki wurde vom Nationaltheater Satiricus aus Chisinau, Republik Moldau, mit einer herausragenden schauspielerischen Besetzung präsentiert.
Das Publikum saß auf der Bühne und die Schauspieler agierten in einigen Korridoren dazwischen. Die Zuschauer waren gewissermaßen Zeugen des Stücks. Sie saßen gefangen mitten in der Story, ohne die Möglichkeit, den Veranstaltungsort zu verlassen oder sich aus dem Geschehen hinauszustehlen.
Eine neue Erfahrung für fast alle Beteiligten, Publikum und Schauspieler. Diese Form des Spektakels glich einem „Theater im Rohformat“. Für die einen war es pure Aufregung, für die anderen „Wurst ohne Pelle“. Es bleibt abzuwarten, ob diese Form Bestand hat oder eine Möglichkeit unter vielen anderen bleibt.
Die mit Spannung erwartete Solo-Vorstellung „HeimatLost“ von Caglar Yigitogullari erfüllte überaus die Erwartungen.
Ein Schauspieler, der seine Heimat verloren hatte, begab sich auf die Suche nach neuen Engagements. Diese schlug fehl und es zerriss den Künstler. Niemand konnte ihm mehr den nötigen Halt geben, die Kontakte zu seinen Eltern wurden zu Klischees seines Lebens. Er lebte auf der Straße, seine Musik verschwand im Nirgendwo. Alles endete in Selbstverleugnung und exkrementeller Versteinerung.
Yigitogullar zeigte in einer Schamanen/Punk-Performance einen tiefen und sehr persönlichen Einblick in die Lebens- und Gefühlswelt eines Künstlers, der in seiner geliebten Heimat (Türkei) nicht mehr auftreten kann. Nun lebt er als Migrant in einem Taschenuniversum, das eigene Strukturen schafft, in denen er gefangen ist.
Carmelo Benes originelle Amputation von Shakespeares Richard III.
Es wird immer versucht, in Shakespeares historischen Tragödien den Kampf um die Krone Englands zu sehen und dabei stets betont, dass all diese Werke mit dem Kampf um die Eroberung der Macht oder die Festigung eines Throns beginnen und alle mit dem Tod des Königs enden.
Deshalb überraschte es, als man Richard III. nach Carmelo Bene sah, auf die Bühne gebracht von Regisseur Emmanuel Ray, Théâtre en Pièces, Chartres. Das gesamte königliche System war verschwunden, die einzigen erhaltenen Charaktere schienen Richard III. und die Frauen. Außerdem endete das Stück nicht mit dem Tod, sondern im Gegenteil mit der Konstituierung einer Figur, der Richards III. Faszinierend nicht nur die Interpretation, sondern ebenso das Spiel der Akteure.
„Is God a Taoist“, ein Dialog zwischen „einem Gott“ und „einem Sterblichen“, war Auftakt einer indischen Trilogie.
DARWIN. Eine weitere Geschichte eines indischen Geschichtenerzählers (Vidyanidhee Vanarase Prasad) beschrieb die Reise eines kleinen Jungen, der sich durch sein intensives Interesse an den vielfältigen Tieren und Pflanzen, die ihn umgaben, zur Wissenschaft hingezogen fühlte, eine tiefgründige Performance, eine Erzählung über Wissenschaft und Evolution und über die einzigartige Art und Weise, wie sie das menschliche Leben verändert haben.
„Fall again, fly better“ folgte als Soloperformance, die von Aditi Venkateshwaran geschrieben, aufgeführt und von Vidyanidhee Vanarase inszeniert. Es handelte sich um die explorative Erzählung einer Tänzerin, die mit jemandem aufwächst, der die Kontrolle über ihren Körper verloren hat, ein Einblick in das ganz persönliche Leben von Aditi Venkateshwaran, voller indischem Flair und Farben.
Theater „I.D. SIRBU“ PETROSANI, Rumänien „Der Tod des Ipu“
… Ein Mann möchte seine eigene Beerdigung sehen, um von denen besucht zu werden, die darauf warten, dass er für sie stirbt … Die Aufführung in der Regie von Sorin Militaru gab einen Einblick in die tief verwurzelte siebenbürgische Lebensweise, Denk- und Gefühlswelt während des Zweiten Weltkriegs.
„Ist ein Leben mehr wert als ein anderes? Sind sechs Leben mehr wert als eines? Rechtfertigen Extremsituationen das Opfer eines Menschen? Was kann sich hinter einem Mann verbergen, der sich selbst opfert, um andere zu retten?
Vorsichtig! Alle möglichen Antworten auf diese Fragen können ebenso falsch wie richtig sein. Wir dürfen kein Urteil überstürzen. Und diese Show tat es auch nicht. Dem Zuschauer auf dem Heimweg stand es frei, sich eine Antwort auszudenken.
Auf ein gewaltiges Großprojekt einigten sich der Präsident des koreanischen Theaterverbandes, GEO Jeungeii Son und Mihai Constantin Ranin, Direktor des Tony Bulandra Theaters, Targoviste, Rumänien. Kooperationen und künstlerischer Austausch in unterschiedlichen Formaten stehen auf der Agenda. Es geht dabei in erster Linie um großflächige Vernetzung.
Das KulturForum Europa begrüßte dieses unterstützungswürdige Vorhaben ausdrücklich.
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