31. FITS im rumänischen Sibiu/Hermannstadt – auch 2024 ein gewaltiger, internationaler Publikumsmagnet  

Sich auf ein Minimum zu fokussieren, füllte den Chronisten allemal aus, und das sollten in diesem Jahr die Beiträge der deutschen Abteilung des „Radu Stanca“ Theaters sein. …

BildNach dem gelungenen Jubiläumsfest des FITS, Internationales Theaterfestival im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) im vergangenen Jahr stellte sich für 2024 die Frage: Kann ein großer Erfolg auch gehalten, bzw. mit der 31. Ausgabe überboten werden? Mit einem kurzen „Ja“ beantwortete das Festivalteam des Radu Stanca Theaters um ihren Chef Constantin Chriac diese Frage und machten sich ans Werk. …

Das zehntägige Festival Ende Juni d. J. vereinte ein weiteres Mal mehrere Tausend Künstler aus 82 Ländern und bot über 800 Events – Theateraufführungen, Tanzperformances, Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen und Straßenvorführungen. Unter dem Slogan „Freundschaft/Friend-Ship“ verwandelte FITS das Zentrum von Hermannstadt in eine einzige große Bühne.

Während drinnen Stars wie Isabelle Adjani und John Malkovich keinen Platz mehr frei ließen, versuchten noch Einige, für die eine oder andere der hochkarätigen Vorstellungen ab spätem Nachmittag ein Ticket zu ergattern.

2024 schien Hermannstadt noch voller zu sein als die Jahre zuvor. Dies mochte dem überquellenden Outdoor-Angebot geschuldet sein, vielleicht auch dem guten Wetter, bei dem die Besucher nach den zahlreichen indoor Vorstellungen den Ausklang des Tages in den Straßen und Gassen, vor den Restaurants und auf den zahlreichen Plätzen der Stadt bei noch mehr Kultur suchten.

Sich auf ein Minimum zu fokussieren, füllte den Chronisten beim viel zu kurzen Besuch allemal aus, und das sollten in diesem Jahr die Beiträge der deutschen Abteilung des „Radu Stanca“ Theaters sein.

„Herz eines Schreiners, Die Geschichte eines Siebenbürger Sachsen“ von Sarah Braun, machte dabei genau den richtigen Anfang.

Das Stück der Dramatikerin, Solo-Performerin und Schöpferin ortsspezifischer Shows, die sie für Theaterfestivals in Israel, der Türkei und Sibiu, Rumänien, inszenierte, wurde in der evangelischen Marienkirche beim FITS uraufgeführt, ebenso wie A Secret About Joy, über die Juden von 1927 in Sibiu, in der Großen Synagoge. Die Künstlerin und Songwriterin, Professorin für Performance an der Universität von Memphis (USA), steuerte auch teils die Live-Musik bei.

Eine abendliche Kirchen-Atmosphäre und die unbequeme Bestuhlung versetzten den Besucher in die richtige, mittelalterliche Stimmung des 14. Jahrhunderts, in der ein -handwerklich weniger begabter- Schreiner durch seine psychologische Kunst als Bringer von Frohsinn und Freude es verstand, jeden, dem er begegnete zu verzaubern.

Die emotionale Geschichte, die zwar nicht ganz an die psychologische Tiefe eines „Squirrel“ von Ernst Penzoldt heranreicht, bestach jedoch durch andere Qualitäten.

„Land Beyond the Forest“ und „Rain Dance Song“ konzipiert und getextet von Sarah Brown, komponiert und arrangiert für diese Produktion von Brita Falch Leutert, verliehen dem Stück den Charakter eines fast schon sakralen, zeitlosen Mysterienspiels.

Das Radu Stanca Theater hatte der Regisseurin seine deutschsprachige Darsteller-Elite mit u.a Daniel Bucher, Johanna Adam, Fabiola Petri und Daniel Plier zur Verfügung gestellt. Sie trugen die Vorstellung und brachten durch ihr Können das Stück regelrecht zum Erblühen.

Der Einstieg in das deutschsprachige Theater von Sibiu sollte sich am darauf folgenden Abend noch gehörig vertiefen: „Die Meinen“ von Dumitru Acris nach Maxim Gorki

„Im Vergleich zu und mit anderer Länder Vorstellungen, besonders im direkten Vergleich bei Festivals, überzeugen die Einen mit ihrer Darstellungskunst, die Rumänien glänzen zu oft mit ihrer südosteuropäischen Spielfreude.“

Schon beim ersten Abend war offenbar, dass diese Darsteller des deutschen Theaters durch eine besondere Schule gegangen sein mussten, was sich bei der folgenden Vorstellung bewahrheitete.

Ausnahmslos jede Truppe, die der Moldauer Dumitru Acris mit seiner Regiekunst in Szene setzte, erfuhr während der Proben einen Wandel im Können der darstellerischen Fähigkeiten eines jeden Einzelnen. Aus spöttisch genannter „Spielfreude“ entwickelte sich tief emotionale Darstellungskunst. Und dieses Können wirkte jeweils sehr nachhaltig, sei es in Moldau, bereits mehrfach in Rumänien und auch in Bulgarien.

„Der Regisseur inszeniert seine Protagonisten im Sinne einer östlichen Theaterschule, er selbst nennt sich ein glühender Verehrer der Stanislawski-Methode. Politisch missbraucht und abgelehnt, erlangte dieses Methode-Acting nicht nur in Amerika wieder Bedeutung. Ein ,Verständnis der Rolle und sich in das Spiel einbringen zu müssen, um sich ganz mit der Rolle zu identifizieren und darin aufzugehen, als ob man selbst die Rollenfigur wäre,‘ mag man im Westen mögen oder ablehnen. Den Darstellern erweitert sie jedenfalls den inneren Horizont und ermöglicht ein überzeugend tiefes Eindringen in die jeweilige Rolle.“ (Anm. d. Autors)

Eine Familie steht kurz vor dem Auseinanderbrechen. Die Eltern können das Freiheitsbedürfnis ihrer Kinder nicht verstehen, und die Kinder können die Starrheit der Eltern nicht nachvollziehen, die ihnen Verantwortung übertragen wollen. Traditionelle Vorstellungen kollidieren mit der Entwicklung der Gesellschaft, und alle träumen von einer immer ungewisseren Zukunft.

Die Inszenierung der Deutschen Sektion lud zu einer immersiven Erfahrung ein, die die Grenzen der Toleranz, zwischenmenschliche Beziehungen und die Aufrichtigkeit von Gefühlen in einem zunehmend instabilen sozialen Kontext hinterfragte.

Regisseur Acris rückte diese Spannungen zwischen den Generationen vor dem Hintergrund einer sich verändernden Welt, die von den Freuden eines idealisierten Lebens getrieben wird, in ein sehr bedrückendes Licht.

Eine spannungsgeladene Vorstellung über den Verlust von Dialog, das brennende Verlangen nach Liebe und die Frage, was uns zu Monstern werden lässt auf dem Weg zur eigenen Glücksfindung und Freiheit, wurde möglich unter Hinzunahme weiterer Könner der deutschen Sektion wie die wunderbaren Emoke Boldizsar, Eva Fratila, Stefan Tunsoiu und Gyan Ros Zimmermann.

Aller guten Dinge sind drei, so heißt es …
„Georg Büchner, Woyzeck“
Regie Hunor Horvath & Edith Buttingsrud Pedersen

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“

Auch dieser Woyzeck ließ tief in diesen Abgrund blicken. Ein Mord, der aus Eifersucht geschah. Und er beschrieb, wie es dazu kommen konnte, wie er dahin gelangte und wie er zu einem Unmenschen wurde, nachdem man ihn des Menschseins beraubt hatte.

Hinterfragung der Bedingungen, unter denen Gewalt geboren wird. Woyzeck, Vater eines unehelichen Kindes, ein gedemütigter Untergebener, das Objekt eines medizinischen Experiments, ein Opfer, ein Täter, ein guter Mensch und Maries Mörder. Der Zuschauer war Gast einer Zirkusvorstellung und wieder einmal Zeuge der menschlichen Tragödie einer Gesellschaft, die auf die Selbstzerstörung zusteuert.

Gaze bezogene Bretterrahmen öffneten sich und gaben den Blick frei in die Manege dieses „Woyzeck-Zirkus“. Ganz nah führte Regisseur Horvath die menschlichen Bestien in einem Kabinett der Absurditäten vor, wie sie ihr Opfer Franz Woyzeck demütigten und verstießen.
Immer wieder veränderten sich diese Tore, wurden zu bewegten Leinwänden für bewegte Bilder, dazu angetan, die Protagonisten noch näher und tiefer zu erforschen. Video-Mapping, Licht-und Sound-Design fesselten den Besucher und übertrugen die psychologischen Momente, die Woyzeck durchlebte, machten transparent, aus welcher tiefen Krise heraus sich die inneren Stimmen von Woyzeck entwickelten und wohin sie ihn trieben.

Alle Darsteller der deutschen Abteilung zeigten wieder mit Bravour ihr Können, weniger „Stanislawski betont“, was dieser Inszenierung guttat, denn hier kam es auf das Zusammenwirken der unterschiedlichen Design-Elemente an. Bei den teils beliebigen Tanzszenen blieb noch Luft nach oben.

Fazit: Eine Horvath-Inszenierung, wie man sie nach den letztjährigen „Zofen“ von J. Genet erwarten durfte.

Der Besuch des Festivals ließ Freiraum, um zumindest noch über eine Vorstellung aus der Ukraine zu berichten, die – wenn auch in umgekehrtem Sinne – in das psychologische und aktuelle Zeitbild hineingehörte: eine packende Aufführung von „Caligula“ im FITS (in zwei unterschiedlichen Besetzungen vom Ivan Franko National Drama Theater, Kiew, Ukraine)

Ivan Uryvsky inszenierte packend „Caligula“ von Albert Camus, temporeich und brandaktuell. Hier kam die „Stanislawski-Methode“ genau recht. Dazu schuf Petro Bogomazov ein großartig minimalistisches Bühnenbild, worin sich Öffnungen auftaten, die jede einzelne Szene zu einem voyeuristischen Happening werden ließen.

Das Stück unterstrich die Notwendigkeit, Diktatur und Tyrannei in der ganzen Welt zu beseitigen, darüber hinaus zum Nachdenken über Moral und Macht verpflichtete. Hier war Caligula ein allmächtiger Diktator, der über den Zeitpunkt von Ereignissen entschied und sich am Leben und Tod anderer bereicherte, eine Lektion über die Macht des Wahnsinns und den Wahnsinn der Macht, notwendiges und schmerzhaftes Sinnen über eine Gegenwart, die vom Gespenst der Selbstzerstörung bedroht ist.

Der Wahnsinn gegenwärtiger Tyranneien kam schockierend nah ans Publikum und erfüllte den Raum mit dem Gestank seiner arrogant brutalen Pestilenz.

Für weitere Informationen unter www.sibfest.ro

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